Wie Fieber die Immunabwehr anregt

von Dr. med. Einar Göhring

erschienen in ÄRZTLICHE PRAXIS Nr. 32 vom 22. April 1986, Seite 1089

Fieber ist ein phylogenetisch sehr alter Mechanismus. Die Natur hat dieses Prinzip nicht ohne Grund konserviert. Immer klarer treten die fundamentalen Effekte der Fiebertherapie zutage. Immer deutlicher zeigt sich, daß Fieber einen der potentesten Immunmechanismen darstellt, der sich auch therapeutisch bei den verschiedensten Krankheitsbildern einsetzen läßt, vor allem bei onkologischen Erkrankungen.
Die aktive Fiebertherapie (im Gegensatz zur passiven Überwärmung!) rückt in der modernen Immunologie als onkologische Maßnahme besonders deutlich in den Vordergrund, seitdem erkennbar wird, welche elementaren Prinzipien der Immunantwort das Fieber zu induzieren vermag.
Es lassen sich inzwischen folgende Zusammenhänge nachweisen:
Das lange Zeit als endogenes Pyrogen (EP) bezeichnete Hormon, das bei Infekten vom Wirtsorganismus erzeugt wird, stellte sich als identisch mit einem der Lymphokine (freigesetzte Immunmodulatoren) heraus, nämlich dem Interleukin-1 (IL-1).
Dieser Wirkstoff wird heute als eine der wesentlichsten, stärksten und vielseitigsten Triggersubstanzen bei der Immunaktivierung betrachtet. Es handelt sich bei dem (alpha-, beta-)IL-1 um ein von Makrophagen, Monozyten und Keratinozyten freigesetztes Peptidhormon mit einem Molekulargewicht von 15.000 Dalton.
IL-1 steht am Anfang der sog. Lymphokin-Kaskade und stimuliert die Produktion von Interleukin-2 (IL2, früher TCGF = T-cell-growth-factor). Das ist jener Immunmodulator, der wiederum an der Aktivierung von NK-Zellen (natural-killer-ceIls) und LAK-Zellen (lymphokine-activatedkiller-cells) beteiligt ist. Gerade in letzter Zeit steht er im Mittelpunkt erheblichen Interesses der Onkologen.
Die von Endotoxinen induzierte Immunkaskade umfaßt zusätzlich noch weitere immunaktive Substanzen wie Interferone und Tumor-Nekrose-Faktor (TNF, vormals Lymphotoxin) und andere bedeutende Wirkstoffe der unspezifischen Tumorabwehr, etwa Komplement- und Properdin-Faktoren.
Die Bedeutung des Fiebers als grundlegender Mechanismus des Immunapparates wird durch den Nachweis unterstrichen, daß Endotoxine - die bei Infekten aus Bakterien oder Viren freigesetzt werden - auch durch die Fiebertherapie zur entscheidenden Immunaktivierung eingesetzt werden können. Bei einem onkologischen Patienten ist diese schicksalbestimmende Immunkette unterbrochen bzw. die Immunkaskade abgeschwächt, sei es aus genetischen oder erworbenen Gründen. Auch immunsuppressive Tumorsubstanzen können mitwirken.
Der Nachweis, daß Fieber via Interleukin-1 (endogenes Pyrogen) sowohl Interleukin-2 als auch andere Immunbotenstoffe freisetzt, wurde mittlerweile wissenschaftlich geführt und kann als gesichert gelten.
Unsere Erfahrungen mit der Fiebertherapie an der Äskulap-Klinik belegen, daß mit dieser Maßnahme zahlreiche Immunparameter in die Richtung zur Norm verändert werden können. Dazu zählt die Aktivierung von T4-(Helfer-)Lymphozyten, Reduzierung von T8-(Suppressor-)Lymphozyten, Ausgleich des B-T-Lymphozytenstatus sowie Normalisierung von Hauttest-Reaktionen zur Objektivierung der zellulären Immunantwort.
Auch wenn die Fiebertherapie in ein komplexes Therapiekonzept eingebettet ist, demonstriert die daraufhin erfolgende sichtlich beschleunigte Immunrestauration, daß der Fiebereffekt eine zentrale Rolle in der Immunstimulation und -modulation spielt.
Die immunologische Basis der Fieberwirkung ist also belegbar. Die eindrucksvollen Resultate der aktiven Fiebertherapie im ersten Drittel unseres Jahrhunderts haben so ihre Erklärung erhalten. (Mit der von Coley eingeführten bakteriellen Fiebervakzine wurden seinerzeit durchschnittlich bis zu 50 Prozent Langzeitremissionen bei histologisch gesicherten Krebs- und Sarkompatienten erzielt.)
Damit bekommt die Immuntherapie als vierte Säule der Krebstherapie das notwendige Fundament. Zugleich eröffnet sich der aktiven Fiebertherapie als einer der natürlichsten Therapiemethoden ein wichtiges Feld in der Krebsbekämpfung. Sie findet Zugang in die allgemeine Onkologie.
Nach 7.500 Anwendungen1) von komplikationsarmen Fieberstößen, die der Verfasser bis jetzt überblicken kann, wird zudem die große therapeutische Breite dieses Verfahrens ersichtlich. Bei der Würdigung der Zusammenhänge zwischen Fieber und Immunsystem wird auch klar, daß jegliche Unterdrückung von Fieber die Aktivierung der Immunkaskade verhindert oder abschwächt und damit für den Krankheitsverlauf von Nachteil sein muß.
Bereits geringes Fieber führt dagegen zur Boosterung innerhalb der Immunverstärkerkette. Literaturhinweise und eigene Beobachtungen bestätigen die beim Krebspatienten gehäuft anzutreffende Tatsache, daß er selten Fieber hat.
Wird dem Organismus die Chance genommen, auf einen äußeren Reiz mit einer ausreichenden Immunantwort zu reagieren, so nimmt man dem Immunsystem die Möglichkeit, Immunmediatoren zu bilden. Ein solchermaßen ständig supprimierter Organismus ist sicherlich nicht in der Lage, adäquat auf den immunologischen Reiz "Malignom" zu antworten.

1)Insgesamt führte der Autor während seiner klinischen Tätigkeit ca. 18.000 Fieberstöße durch, davon 16.000 in der ÄSKULAP-Klinik Bad Rappenau und 2.000 in der ASKLEPIOS-Tagesklinik in Frankfurt/M..


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