Fiebertherapie bei Krebs vernachlässigt

von Dr. med. Einar Göhring

erschienen in ÄRZTLICHE PRAXIS Nr. 86 vom 26. Oktober 1985, S. 3377

Allenthalben werden intensive Anstrengungen innerhalb der onkologischen Therapie unternommen, um meist doch nur minimale Verbesserungen der konventionellen Therapiemethoden (Operation, Bestrahlung, Chemo- und Hormontherapie) zu erreichen. Sichtet man die Literatur der klinischen Anwendung der Fiebertherapie bei Krebs und chronischen Krankheitsbildern und macht dabei ähnlich positive Erfahrungen wie frühere Anwender, fragt man sich verwundert, weshalb diese natürliche, effektive und so wenig belastende Methode aus dem Schatz der Erfahrungsheilkunde heutzutage so wenig angewendet wird.
Die Fiebertherapie wird bei uns in der Regel einmal wöchentlich durchgeführt. Als Pyrogen setzen wir ein Autolysat von Streptokokken und Bacterium prodigiosum in steigender Dosierung ein (entsprechend 103 bis 106 Keimen). Angestrebt werden Temperaturen bis 40° C und darüber.
Mittlerweile können wir etwa 7.0001) Fieberstöße überblicken, mit insgesamt guten bis sehr guten Resultaten bei onkologischen Patienten, aber auch bei chronischen Erkrankungen, insbesondere Colitis ulcerosa und rheumatischen Erkrankungen. Eine schwere Komplikation erlebten wir noch nie. An leichteren Komplikationen werden Übelkeit, Erbrechen und Kopfschmerzen beobachtet. Nach Ablauf des jeweiligen Fieberstoßes kann auch ein Herpes labialis in Erscheinung treten, dies in der Regel nur einmal, da ein Herpesschub ja praktisch eine "Eigenimpfung" (Anstieg des Herpes-Antikörpertiters) bedeutet.
Ich will nicht einer monomanen Fiebertherapie das Wort reden. Bei dem bescheidenen therapeutischen Stand der Onkologie insgesamt kann es sich sich niemand leisten, nur einen Therapieweg zu beschreiten. So lehne ich es es auch nicht ab, die Fiebertherapie mit einer (reduzierten) Chemotherapie zu kombinieren, wenn es notwendig erscheint. Die Resultate einer kombinierten Fiebertherapie sind meistens besser als eine zytostatische Behandlung alleine bei generell geringeren Nebenwirkungen.
Der heute festzustellende Seitenweg der onkologischen Therapie, die passive Hyperthermie, erscheint aus mehreren Gründen nicht so erfolgversprechend wie eine physiologische Fiebertherapie:

1. Die passive Hyperthermie wird in in der Regel nur in lokaler Form eingesetzt, d.h. man versucht eine Überwärmung des Tumors mit physikalischen Hilfsmitteln zu erreichen. Dieses Prinzip ist nicht grundsätzlich zu kritisieren, denn die Thermosensitivität von Tumorzellen ist schließlich bekannt. Die lokale Hyperthermie wird auch an unserer Klinik zusätzlich angewandt. Mit ihr gelingt es allerdings nicht oder nur bruchstückhaft, Reaktionen des Gesamtorganismus auszulösen, wie es mit der physiologischen Fiebertherapie möglich ist.

2. Verschiedenste Versuchsanordnungen in vitro, im Tierversuch sowie klinische Beobachtungen bei Krebspatienten zeigen, daß eine passive Hyperthermie die eindrucksvollen Immunreaktionen, wie sie bei der aktiven Fiebertherapie auftreten, vermissen läßt.

Dem Gesamtprogramm zur Krebsbekämpfung (Arbeitsgruppe "Unkonventionelle Methoden der Krebsbekämpfung") liegt ein Antrag der ÄSKULAP-Klinik zur Erforschung der Fiebertherapie vor, der inzwischen im Grundsatz genehmigt wurde. Somit besteht die Aussicht, zukünftig differenzierte Untersuchungen der (Immun-)Reaktionen im Rahmen von Fieberstößen, die bisher auf einige wenige immunologische Parameter beschränkt werden mußten, durchführen zu können. Zugleich werden in dieser Studie natürlich die klinischen Effekte der aktiven Fiebertherapie festgehalten.
Das bislang enge Spektrum untersuchter immunologischer Reaktionen (Leukozytose, Verschiebung innerhalb des Differentialblutbildes, Normalisierung von B- und T4-/T8-Lymphozyten sowie deren Verhältnis) zeigt aber bereits, daß die aktive Fiebertherapie als klassisches Instrument einer aktiven Immuntherapie eingeschätzt werden kann. Folgende Schlußfolgerungen lassen sich vorläufig ziehen:

Letztere Überlegung ist insbesondere im Zusammenhang mit der Nachbehandlung nach konventioneller Krebstherapie (Bestrahlung, Chemotherapie) von Bedeutung. Darüber hinaus kann diese Beobachtung möglicherweise im Rahmen von Präventivmaßnahmen bei der Krebsbekämpfung eine Rolle spielen.
Ein nicht zu überschätzender Vorzug der Fiebertherapie ist ihre Eigenschaft, weitgehend komplikationsfrei zu sein. Berücksichtigt werden muß bei der Auswahl der Patienten allein die Herz- und Lungenfunktion sowie der Allgemeinzustand.
Nach der Behandlung von bisher zwei fortgeschrittenen AIDS-Erkrankungen zeichnet sich ab, daß auch hier die Fiebertherapie ein erfolgversprechendes Instrument für die Immunrestauration abgeben kann.

1)Insgesamt führte der Autor während seiner klinischen Tätigkeit ca. 18.000 Fieberstöße durch, davon 16.000 in der ÄSKULAP-Klinik Bad Rappenau und 2.000 in der ASKLEPIOS-Tagesklinik in Frankfurt/M.


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