Die aktive Fiebertherapie -

ein immunologisches Instrument bei onkologischen Erkrankungen

von Dr. med. Einar Göhring

erschienen in Ärztezeitschr. f. Naturheilverf. Nr.6, S. 390-94 (1986)


Zusammenfassung

Die Fiebertherapie (induziert durch bakterielle Autolysate) kann - als imitierter biologischer Mechanismus der Evolution - als wertvolle Bereicherung der therapeutischen Palette bei onkologischen und verschiedensten chronischen Krankheitsbildern eingesetzt werden. Die Therapieeffekte sind außer auf unspezifische Hitzeeffekte auf nachweisbare immunologische Reaktionen und ausgeprägte vegetative Umstimmungen zurückzuführen.

Es wird über die günstigen Erfahrungen mit der aktiven Fiebertherapie (ca 8.000 Fieberstöße) bei onkologischen und chronischen Erkrankungen (insbesondere Colitis ulcerosa und rheumatische Erkrankungen) berichtet. Der große Vorteil der aktiven Fiebertherapie mit bakteriellen Autolysaten liegt in den guten bis sehr guten Resultaten bei vernachlässigbaren Nebenwirkungen, wobei jene in Kombination mit Zytostatika bei Krebs/Sarkom/hämatologischen und Iymphatischen Erkrankungen noch optimiert werden können.

Summary

Fever, induced by bacterial autolysats, is an imitation of a biological mechanism of evolution. Used therapeutically it can be a valuable addition to the therapeutic range in the treatment of cancer and several chronic diseases. Evident positive effects of active fever therapy are probably due to unspecific thermogenous effects, immunological reactions and intensive vegetative stimulation.

The paper reports encouraging experiences with active fever therapy (over 8000 fevershot treatments) in connection with oncological and chronic diseases (especially colitis ulcerosa and rheumatic conditions). Active fever therapy has the advantage of showing good therapeutic results and having negligible side effects. Optimal results in the treatment of carcinoma/sarcoma/hematologic and lymphatic diseases can be obtained by the combination of active fever therapy and chemotherapy.


Die Ära der aktiven Fiebertherapie begann vor nunmehr fast einhundert Jahren und ist eng mit dem Namen Coley verbunden. Dieses Behandlungsprinzip wird seit mehreren Jahren an der Äskulap-Klinik eingesetzt und nimmt als immunologisches Therapieverfahren einen hohen Stellenwert innerhalb unserer therapeutischen Maßnahmen bei Patienten mit Krebs und chronischen Erkrankungen ein.
Wir überblicken bislang etwa 8.0001) Fieberstoßbehandlungen mit insgesamt guten bis sehr guten Resultaten bei onkologischen Patienten, aber auch bei chronischen Krankheitsbildern, insbesondere Colitis ulcerosa und rheumatischen Krankheitsbildern.
(Das methodische Vorgehen besteht in der Regel in wöchentlichen Verabreichungen eines Autolysats von apathogenen Streptokokken und Bacterium prodigiosum mit etwa 106 Keimen/ml intravenös; zur Kreislaufunterstützung wird zusätzlich 1/4 mg k-Strophantin gegeben.) Die hierbei gewonnenen Erfahrungen decken sich mit Beobachtungen aus der früheren Ära der Fiebertherapie. Sichtet man die vorliegende Literatur einer klinischen Anwendung der Fiebertherapie bei malignen und chronischen Krankheitsbildern und findet man die darin geschilderten Resultate durch die eigenen Ergebnisse bestätigt, stellt sich die Frage, warum eine natürliche, effektive und wenig belastende Methode wie die Fiebertherapie kaum genutzt wird, warum dieser wertvolle Schatz der Erfahrungsheilkunde eine Art Aschenputteldasein gerade in der Krebsbehandlung führt.
Schließlich werden intensive Anstrengungen innerhalb der onkologischen Therapie unternommen, wobei jedoch meist nur mehr oder weniger bedeutende Verbesserungen konventioneller Therapiemethoden (Operation, Bestrahlung, Chemo- und Hormontherapie) erreicht werden.

Fiebertherapie als Naturheilverfahren

In der Fiebertherapie steht uns hingegen eine Methode der Naturheilkunde zur Verfügung, die - bei vernachlässigbaren Nebenwirkungen - in der Regel gute Erfolgsaussichten gewährleistet und damit zu einem eigentlich unverzichtbaren Bestandteil der therapeutischen Palette des (nicht nur onkologisch tätigen) Arztes zählen sollte.
Daß diese so logisch erscheinende Konsequenz nicht gezogen wird, liegt wohl zum Teil an der immer noch verbreiteten Unsicherheit der etablierten Medizin gegenüber allen mit dem Begriff der Erfahrungsheilkunde verbundenen Maßnahmen, an dem ängstlichen Verstecken hinter dem scheinbaren Schutzschild der Wissenschaftlichkeit.
Zum anderen aber spielen wirtschaftliche Gründe eine unübersehbare Rolle. Eine Methode wie die Fiebertherapie kann nicht im Sinn der pharmazeutischen Industrie liegen, auch nicht im Sinn der Hersteller von Bestrahlungsgeräten. Zwischen den konventionellen Behandlungsmethoden und biologischen Krebstherapien, ganz besonders der Fiebertherapie, besteht nun einmal auch auf dem Kostensektor ein ganz erheblicher Unterschied: Methoden wie die Fiebertherapie sind im Vergleich preiswert, an ihnen ist nicht so viel zu verdienen.
Die Forderung nach dem Einsatz der Fiebertherapie darf allerdings nicht als Forderung mißverstanden werden, sie zur einzigen und in jedem Fall anzuwendenden Behandlungsmaßnahme zu erheben. Bei dem insgesamt noch bescheidenen Stand der onkologischen Therapiemöglichkeiten kann es sich niemand leisten, nur einen einzigen Therapieweg zu beschreiten. Wie es sich auch niemand leisten sollte, auf eine empirisch gesicherte unterstützende Methode zu verzichten.
So lehnt der Verfasser es selbstverständlich auch nicht ab, Fiebertherapie mit einer (reduzierten) Chemotherapie zu kombinieren, wann immer es notwendig erscheint. Die therapeutischen Resultate sind mindestens gleich gut, häufig sogar besser bei generell geringeren Nebenwirkungen.

Grundlagen der physiologisch-aktiven Fiebertherapie

Unter dem Begriff der Fiebertherapie wird vielfach die auch in der Öffentlichkeit diskutierte passive Hyperthermie verstanden. Dieses Prinzip der meist lokalen Überwärmung eines Tumors mit physikalischen Hilfsmitteln besitzt im Einzelfall durchaus seine Berechtigung. Die Thermosensitivität von Tumorzellen ist schließlich bekannt, die lokale passive Hyperthermie wird auch an unserer Klinik im geeigneten Fall zusätzlich angewandt. Allgemein jedoch hat sich die passive Hyperthermie als nicht so erfolgversprechend gezeigt wie die physiologische aktive Fiebertherapie. Zum einen ist die aktive Fiebertherapie nicht nur auf die rein lokale Überwärmung beschränkt. Zum anderen gelingt es mit der passiven Hyperthermie nicht oder nur bruchstückhaft, immunologische Reaktionen des Gesamtorganismus auszulösen, wie es mit der physiologischen aktiven Fiebertherapie möglich ist.
Verschiedenste Versuchsanordnungen in vitro und im Tierversuch sowie klinische Beobachtungen bei Krebspatienten belegen, daß eine passive Hyperthermie jene eindrucksvollen Immunreaktionen vermissen läßt, wie sie bei der aktiven Fiebertherapie auftreten. Durch die gesicherten Immunreaktionen erhält die aktive Fiebertherapie einen besonderen Stellenwert auf dem immer stärker in den Mittelpunkt rückenden Feld der Immunologie.
Nicht zuletzt aus diesem Grund hat die Äskulap-Klinik dem Gesamtprogramm zur Krebsbekämpfung (Arbeitsgruppe "Unkonventionelle Methoden der Krebsbekämpfung") einen Antrag zur Erforschung der Fiebertherapie vorgelegt, der inzwischen im Grundsatz genehmigt wurde.
Somit besteht die Aussicht, zukünftig differenzierte Untersuchungen der (Immun-)Reaktionen im Rahmen von Fieberstößen durchführen zu können, die bisher aus wirtschaftlichen Gründen auf einige wenige immunologische Parameter beschränkt werden mußten. Zugleich werden in dieser Studie natürlich die klinischen Effekte der aktiven Fiebertherapie festgehalten, wie etwa Remissionseffekte und Überlebenszeiten. Aber auch das bislang noch begrenzte Spektrum von untersuchten immunologischen Reaktionen (Leukozytose, Verschiebung innerhalb des Differentialblutbildes, Normalisierung von B-, T4- und T8-Lymphozyten sowie deren Ratio) zeigt bereits, daß die aktive Fiebertherapie als klassisches Instrument einer aktiven Immuntherapie eingeschätzt und sinnvoll genutzt werden kann.
Vorläufig lassen sich folgende Schlußfolgerungen ziehen:

Fiebertherapie in der Tumorbehandlung

- mit der Fiebertherapie kann ein kanzerostatischer/kanzerolytischer Effekt auf Tumoren und/oder Metastasen aufgrund der Temperaturwirkung erreicht werden

- die aktive Fiebertherapie kann aufgrund ihrer Immunreaktionen kanzerostatische bzw. kanzerolytische Effekte auf Tumoren und/oder Metastasen ausüben

- mit der aktiven Fiebertherapie kann ein geschwächtes Immunsystem wieder aufgebaut werden

Letztere Beobachtung ist besonders im Zusammenhang mit der Nachbehandlung nach konventioneller Krebstherapie (Bestrahlung, Chemotherapie) von Bedeutung.
Darüber hinaus kann sie möglicherweise auch im Rahmen von Präventivmaßnahmen bei der Krebsbekämpfung und zur Senkung anderer Risiken eine Rolle spielen.
Der Wert einer aktiven Fiebertherapie erweist sich ja nicht nur auf dem onkologischen Gebiet (Krebs, Sarkom, hämatologische und Iymphatische Erkrankungen), sie konnte und kann bei zahlreichen Krankheitsbildern sinnvoll und mit zum Teil außergewöhnlich gutem Erfolg eingesetzt werden:
Lues in allen Stadien, Gonorrhoe, Typhus und Paratyphus, Keuchhusten, Pneumonie, Fleckfleber, Meningokokkeninfektionen, Osteomyelitis; Virusinfektionen (Poliomyelitis, Hepatitis); allergische Erkrankungen (Asthma bronchiale, Hauterkrankungen, allergischer Schnupfen); rheumatische Krankheitsbilder (Bechterewsche Erkrankungen, rheumatisches Fieber, degenerativ-rheumatische Erkrankungen und Weichteilrheumatismus); Neuralgien und Neuritiden; Ulcus ventriculi et duodeni; chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (Colitis ulcerosa, Morbus Crohn); Multiple Sklerose.
Nach der Behandlung einiger fortgeschrittener AIDS-Erkrankungen sowie HTLV3/LAV-positiven Patienten mit den Zeichen einer Immundefizienz zeichnet sich auch hier ab, daß die aktive Fiebertherapie ein erfolgversprechendes Instrument für die Immunrestauration abgeben kann.
Ebenso wie bei AIDS (nachgewiesene Virusgenese) ist bei der Multiplen Sklerose (vermutete Virusgenese mit nachfolgenden Autoimmunreaktionen) und Colitis ulcerosa/Morbus Crohn (wahrscheinlich infektiöses Agens mit ebenfalls konsekutiven autoimmunologischen Reaktionen) die Annahme gerechtfertigt, daß schon alleine aufgrund des Hitzeeffektes bei der bekannten Tatsache der Thermosensibilität von Viren und vielen Einzellern die Fiebertherapie einen kausalen Behandlungsmechanismus darstellt.
Doch scheinen die stärksten Effekte auf die ablaufenden immunologischen Mechanismen zurückzuführen zu sein.
Das bisher als endogenes Pyrogen (EP) bezeichnete Peptidhormon, das bei Infekten vom Wirtsorganismus erzeugt wird, hat sich als identisch mit dem Interleukin-1 (IL-1) herausgestellt.
Dieser Immunmediator spielt vermutlich die erste Geige im großen Konzert des Immunorchesters, da er übergeordnet am Beginn der Immunkaskade steht.
Interleukin-1 übt eine wesentliche Triggerrolle bei der Immunaktivierung aus; es stimuliert u. a. die Produktion von Interleukin-2 (IL-2, früher TCGF = T-cell growth factor), jenem Immunmodulator, der wiederum an der Aktivierung von NK-Zellen (natural killer cells) und LAK-Zellen (Iymphokine activated killer cells) beteiligt ist. Weitere bedeutsame immunaktive Substanzen, die über Endotoxin und Interleukin-1 induziert werden, sind Interferone, Tumor-Nekrose-Faktor (TNF - vormals Lymphotoxin), colony stimulating factor (CSF), das Komplementsystem und Properdin.
Das Prinzip der Nutzung des Fiebers zur Stärkung und Wiederherstellung der Gesundheit ist seit Jahrtausenden bekannt (u. a. Parmenides vor zweieinhalbtausend Jahren: "Gebt mir die Macht, Fieber zu erzeugen, und ich heile alle Krankheiten!").
Im Altertum bereits stellte man fest, daß Patienten mit Malaria auffallig seltener an Krebs erkrankten als die übrige Bevölkerung.
Die Behandlung von Tumoren durch eine aktive Fiebertherapie wurde erstmals 1866 (Busch) festgehalten, als die erfolgreiche Sarkombehandlung durch eine provozierte Erysipelinfektion gelang.
Um die Jahrhundertwende erzielte der Amerikaner Coley mit seinen Fiebervakzinen überraschende Erfolge bei 896 dokumentierten Krebspatienten, ohne seinerzeit eine Erklärung für die Wirkung der Injektion fieberauslösender Bakterienpräparate gefunden zu haben.
Die von Coley entwickelte und vom Cancer Research Institute in New York verbesserte Injektionslösung bildet übrigens die Basis der an unserer Klinik eingesetzten Mittel.
Diese aktive Fiebertherapie in der Form von intravenösen Injektionen bakterieller Pyrogene führte in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts ein ausgesprochenes Schattendasein in der Medizin. Der zunehmende Einsatz von Sulfonamiden und Antibiotika sowie das Aufkommen der Strahlen- und Zytostatikabehandlung machte die Fiebertherapie erst recht zu einem mit Verachtung und Hochmut angesehenen Aschenputtel in der Medizin.
(Zusätzlich dürfte die quälende Form der passiven Hyperthermie mit der vor vielen Jahrzehnten üblichen Kettering-Hyperthermiekammer dem Ansehen der Fiebertherapie schlechthin geschadet haben, da man damals jede Form der Ubererwärmung mit dem Begriff "Fieber" belegte.)
Wir können es uns aber nicht leisten, auf eine derart wirkungsvolle Waffe im Arsenal der therapeutischen Möglichkeiten zu verzichten. Ganz besonders im Hinblick darauf, daß hier das bei konventionellen Methoden zu beachtende Argument der bedenklichen Nebenwirkungen wegfällt.
Selbstverständlich muß bei der Auswahl der Patienten für die Fiebertherapie stets die Herz- und Lungenfunktion sowie der Allgemeinzustand berücksichtigt werden. Unter diesen Kautelen ist die Fiebertherapie weitgehend komplikationsfrei. Zumindest hat der Verfasser bei einigen tausend Fieberstößen, wo Temperaturen bis 40 Grad Celsius und darüber angestrebt werden, noch keine einzige schwerwiegende Komplikation erlebt.

1)Insgesamt führte der Autor während seiner klinischen Tätigkeit ca. 18.000 Fieberstöße durch, davon 16.000 in der ÄSKULAP-Klinik Bad Rappenau und 2.000 in der ASKLEPIOS-Tagesklinik in Frankfurt/M.


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