Ist Multiple Sklerose eine Infektionskrankheit des zentralen Nervensystems mit Chlamydia pneumoniae?

von Dr. Christoph Stephan und Prof. Wolfgang Stille

erschienen in Ärze Zeitung Nr. 124 (1999), Seite 2



Eine Gruppe von Neurologen, Infektiologen und Pathologen um Subramaniam Sriram aus Nashville im US-Staat Tennessee beschreibt in der aktuellen Ausgabe der "Annals of  Neurology" den Nachweis von Chlamydia pneumoniae bei Patienten mit Multipler Sklerose (MS). Sind die Ergebnisse für andere Forscher nachvollziehbar, dann ließe sich kurz vor Ende des Jahrtausends, etwas provokant, aber immerhin, konstatieren: Die Ätiologie der MS ist in unerwarteter und bemerkenswert einfacher Weise aufgeklärt, und zwar als chronisch-persistierende Infektion des ZNS mit C. pneumoniae.

In der Studie wurden drei Patientengruppen untersucht: 17 Patienten mit schubförmiger MS (ohne aktuellen Schub), 20 Patienten mit chronisch-progredienter MS, mit nach den Poser-Kriterien gesicherter Diagnose. Als Kontrollgruppe galten 27 Patienten mit anderen neurologischen Krankheitsbildern, aber nicht MS. Die Untersuchungsmethoden:

Die Ergebnisse sind eindrucksvoll: In der Gruppe der Patienten mit schubförmiger MS konnte bei sieben von 17 C. pneumoniae kulturell nachgewiesen werden, bei allen 17 Patienten konnte C.-pneumoniae-Antigen mit der PCR nachgewiesen werden. Die Antikörper-Analyse von Liquor und Serum ergab in acht von 17 Patienten einen positiven Index >1 als Ausdruck der autochthonen IgG-Produktion. In der Patientengruppe mit chronisch-progredienter MS war der Nachweis von C. pneumoniae noch eindrucksvoller: Bei 16 von 20 Patienten war C. pneumoniae kulturell nachweisbar, in der PCR bei 19 von 20 positiv. Mittels Western Blot konnte in dieser Gruppe

nachgewiesen werden, daß sich die als oligoklonale Banden bekannten autochthon produzierten IgG im Liquor von C.-pneumoniae-Antigen adsorbieren lassen, ein Hinweis auf die Spezifität der bisher als unspezifisch charakterisierten Antikörper. In der Kontrollgruppe mit anderen neurologischen Krankheitsbildem, die ebenso entzündlicher Genese waren oder eine

entzündliche Komponente aufwiesen, waren drei von 27 Patienten kulturell und vier von 27 in der PCR positiv.

Die Indices der IgG-Prävalenz in Liquor und Serum lagen bei 21 von 22 untersuchten Patienten-Liquors unter 1, was als Hinweis auf nicht intrathekal gebildete Immunglobuline gedeutet wird. Patienten mit positivem Nachweis hatten Erkrankungen, die möglicherweise auch durch C. pneumoniae bedingt sein könnten.

Die Arbeit zeigt überzeugend das Vorkommen von C. pneumoniae im Liquor von MS-Patienten. Es gibt keine Berichte von apathogener humaner Besiedelung des ZNS mit Bakterien.

Chlamydien gehören als typische Erreger chronisch-persistierender Infektionen keinesfalls in das ZNS von Patienten mit MS.

Die herkömlichen pathogenetischen Modelle gehen bei der MS davon aus, daß autoaggressive T-Zell-Klone endogen Entmarkungs-Läsionen verursachen, möglicherweise aktiviert durch Umweltfaktoren (und hier räumt man auch infektiösen Agentien eine positive ätiologische Bedeutung ein). Bakterielle Erreger als Auslöser der MS wurden aber in den letzten Jahren kaum erwähnt.

C. pneumoniae ist ein erst 1985 entdeckter Erreger mit bisher nicht vollständig geklärter Pathogenität. Außer unterschiedlichen respiratorischen Infektionen ist eine Persistenz des intrazellulären, Gram-negativen Erregers im Respirationstrakt bei klinisch Gesunden beschrieben. In den letzten Jahren zeichnete sich zunehmend die Abklärung der Pathogenese der Atherosklerose als chronisch persistierende Gefäßinfektion mit C. pneumoniae ab.

Auch gibt es epidemiologische Hinweise auf, eine infektiologische Ätiologie der MS:


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