Was brachte unsere Fiebertherapie?

von Dr. med. Einar Göhring

erschienen in ÄRZTLICHE PRAXIS Nr. 101 vom 17. Dezember 1988, S. 3177

Kurz nach ihrer Eröffnung begann die Äskulap-Klinik in Bad Rappenau 1983 mit dem Einsatz der aktiven Fiebertherapie. Seither wurden etwa 10.000 "Fieberstöße" bei Patienten mit malignen und chronischen Erkrankungen durch ein Bakterienautolysat aus Streptococcus pyogenes und Serratia marcescens (Vaccineurin) ausgelöst. Anlaß waren die guten Erfahrungen mit der Fiebertherapie, die ich bei Issels kennenlernte, wo ich zuvor schon 6.000 Fieberstöße erleben und beurteilen konnte.
Zu unseren Erfahrungen: Die erzielten Erfolge waren meist gut, manchmal sehr gut, gelegentlich sogar spektakulär (z. B. anhaltende Vollremission bei einer Patientin mit inoperablem Pankreas-Karzinom mit Lebermetastasen). Gleichermaßen konnten wir eindrucksvolle Ausheilungen bei hartnäckigen chronischen Erkrankungen (Colitis ulcerosa, M. Crohn, Asthma bronchiale, Hautkrankheiten) registrieren.
Eine Therapieverbesserung bei malignen Erkrankungen zeigte sich vor allem nach Einführung einer kombinierten Fieber-Chemotherapie, die insbesondere beim Mamma- und Kolon-Karzinom sehr gute Remissionseffekte aufwies (1). Zum Wirkprinzip: Den Ansatzpunkt bei malignen und den meisten chronischen Leiden sehen wir in einer Immunregulation. Bei malignen Erkrankungen ist eine Immunaktivierung vonnöten, bei den chronischen eine Immunmodulation (meist -suppression).
Die zugrunde gelegte Hypothese einer Immunkaskade (2) konnte bislang in allen untersuchten Parametern bestätigt werden. So berichtete ich vor drei Jahren an dieser Stelle über die Identität von endogenem Pyrogen mit dem neu formulierten Interleukin 1 (3). Sowohl die Aktivierung dieses Zytokins als auch die anderer Immunparameter wurde in unserer Klinik nachgewiesen.
Zu den wenigen noch "offenen" Immunhormonen gehörte nach der erwähnten Hypothese auch der Tumornekrosefaktor, den wir mit Unterstützung durch das DKFZ Heidelberg ebenfalls nachzuweisen versuchten. Während der laufenden Pilotstudie wurden wir jedoch über den gelungenen Nachweis durch einen anderen Autor (4) informiert. Darüber sind wir natürlich nicht enttäuscht, sondern freuen uns, daß eine weitere Bestätigung der postulierten "Fieber-Immunkaskade" gelungen ist.
Mit den bisher erwähnten Untersuchungen (die ohne jede öffentliche Unterstützung erfolgten) gelang uns also der prinzipielle Nachweis der Fiebertherapie als einer Immuntherapie.
Sie darf aber keinesfalls in die Nähe der passiven Hyperthermie gerückt werden, die mit einer Immuntherapie überhaupt nichts gemein hat (es sei denn, man ordnet die grundsätzlich immunsuppressiven Effekte der passiven Hyperthermie noch einer Immuntherapie zu).
Die bei der Fiebertherapie erreichbaren Temperaturen (durchschnittliche maximale Temperatur bei 200 ausgewerteten Patienten: 39,9°C) können für sich ja gar nicht tumorizid wirken. Das wesentliche Prinzip der Fiebertherapie, deren Einführung in die Onkologie im letzten Jahrhundert Coley zu verdanken ist, ist also nicht die Wärme - die freilich die ablaufenden Immunprozesse katalytisch verstärkt (5) -, sondern die Auslösung der Immunkaskade durch zunächst exogene Pyrogene.
An verschiedenen Einrichtungen in der Bundesrepublik laufen - initiiert und unterstützt durch die Äskulap-Klinik - derzeit Studien über die Fiebertherapie bei unterschiedlichen onkologischen Erkrankungen (Universität Göttingen: Phase-I-Studie beim metastasierenden Melanom; Städtische Kliniken Nürnberg: kombinierte Fiebertherapie mit Chemotherapie und/oder Bestrahlungstherapie beim metastasierenden Kolon-Karzinom).
Mehrere deutsche Kliniken haben begonnen, die Fiebertherapie als Behandlungsprinzip bei onkologischen und chronischen Erkrankungen einzuführen. Man kann also derzeit von einem Aufschwung der Fiebertherapie sprechen. Der vor drei Jahren an dieser Stelle erschienene Leitartikel "Fiebertherapie bei Krebs vernachlässigt" (6) blieb möglicherweise doch nicht ganz ohne Folgen.
Gerade in der heutigen Zeit einer stürmischen Entwicklung der Immunonkologie beginnt die aktive Fiebertherapie offensichtlich - allein und in Kombination mit den konventionellen Verfahren der Krebstherapie (Chemotherapie, Bestrahlung) - als älteste systemische Immuntherapie ihren Platz zu behaupten.
Ab diesem Jahr war eine prospektive Studie über die Remissionseffekte der aktiven Fiebertherapie bzw. deren Kombination mit Chemotherapie vorgesehen. Ein entsprechender Antrag liegt bei der Deutschen Krebshilfe/Mildred-Scheel-Stiftung vor. Aber weitere Fieberstöße werden an unserer Klinik nicht durchgeführt werden können, denn sie wird noch in diesem Jahr schließen - auch eine der Auswirkungen von Blüms "Gesundheitsreform".

(1) E. Göhring: Die kombinierte Fieber-Chemotherapie beim metastasierenden Kolon-Karzinom - Erfahrungsbericht über ein Patientenkollektiv mit Lebermetastasen. Dt. Ztschr. Onkol. 20 (1988) 1-7. - (2) ders.: Die Behandlung von bösartigen Erkrankungen mit aktivem Fieber. natura-med, 1-2 (1988) 8-17. - (3) ders.: Wie Fieber die Immunabwehr anregt. Ärztl. Praxis 38 (1986) 1089. - (4) E. J. Ziegler: Tumornecrosis factor in humans. N. Engl. J. Med. 318 (1988) 1533-1534. - (5) G. W. Duff, S. K. Durum: T cell proliferation induced by interleukin 1 is greatly increased by hyperthermia. Clin. Res.30 (1982) 694A. - (6) E. Göhring: Fiebertherapie bei Krebs vernachlässigt. Ärztl. Praxis 37 (1985) 3377.


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